Kaffee mit Minze – Der MINT-Blogcast, in welchem spannende und persönliche Insights rund um das Themengebiet der Prozess-Digitalisierung, -optimierung und artverwandten Bereichen diskutiert werden.
In Episode #5 spricht Marc mit Dr. Peter Heinrich, dem Leiter Fachstelle Prozessmanagement und Informationssicherheit sowie Dozenten an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften über die Relevanz von Prozessmanagement für Unternehmen, dass Digitalisierung nicht einfach zum Selbstzweck betrieben werden soll und wie wichtig klare Zielsetzungen im Rahmen des Prozessmanagement und der Prozessdigitalisierung sind.
Tobias:
Herr Dr. Heinrich, Sie sind Dozent für Prozessmanagement an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Wie verstehen Sie Prozessmanagement und welche Relevanz hat die Thematik für Unternehmen?
Dr. Peter Heinrich:
Prozessmanagement hat man ja in den Unternehmen auf die eine oder andere Weise schon immer betrieben, die Frage ist doch eher, wie formalisiert und explizit man das tun möchte. Die Frage nach der Relevanz für ein formalisiertes und explizites Prozessmanagement muss aus den Unternehmenszielen ableitbar sein, sonst passiert es zum Selbstzweck und man endet mit einer Fülle von Prozessmodellen, die kaum noch jemand anschaut und die zusehends veralten und von der Realität wegdriften. Für mich fängt daher jede Art von Prozessmanagement mit einem gut überlegten Zielsystem an. Wo will man hin? Was möchte man eigentlich genau optimieren? Ohne diese Fragen zu beantworten, wüsste man sonst nicht mal was man eigentlich messen sollte. Letztlich leben die meisten Management-Modelle von einem Mess-Optimierungs-Zyklus und diesen gilt es zu definieren und zu etablieren. Prioritär natürlich dort, wo der meiste Nutzen entstehen kann.
Tobias:
Prozessmanagement kann grundsätzlich in strategisches und operatives Prozessmanagement unterteilt werden. Auf welchen Bereich sollen Unternehmen vermehrt den Fokus setzen?
Tobias:
Viele Organisationen haben ihre Kernprozesse z.B. in zentralen ERP- und CRM-Lösungen umgesetzt. Ein Grossteil der Prozesse ausserhalb dieser Kernsysteme (bspw. Compliance- oder HR-Prozesse) sind aber oftmals nur geringfügig oder gar nicht digitalisiert. Was würden Sie diesen Unternehmen raten, wie sie mit dieser Art von Prozessen umgehen sollen?
Dr. Peter Heinrich:
Das kommt ganz darauf an und lässt sich nur schwer abstrakt beantworten. Oft gibt der Gesetzgeber klar vor, was z.B. in Bezug auf Compliance erbracht werden muss und das muss man dann halt umsetzen – ob nun stark prozessgeführt und automatisiert oder nicht. Ich persönlich finde Compliance-Themen schon deshalb schwierig, weil sie meist primär darauf abzielen im Schadfall die Schuld von sich zu weisen zu können, anstatt zu versuchen den Schadfall von vornherein gleich zu vermeiden. Compliance ist eben kein Garant für Kompetenz! Da braucht es noch mehr. Das sieht man zum Beispiel schön, wenn Firmen plötzlich beginnen aus Compliance-Gründen strikte Informationsklassifikation durchzusetzen, die Infrastruktur aber überall bröckelt und die Bits schon bei der Haustüre herauspurzeln. Das ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht und schon gar nicht gekonnt. Auch hier gilt wieder: Erst mal überlegen, was man will / was man muss und im zweiten Schritt dann falls notwendig die passenden Massnahmen ergreifen. Idealerweise verbindet man «wollen» und «müssen». Dann entstehen die wirklich guten Dinge.
Tobias:
Wenn Sie abschliessend einen Tipp geben können, wie Unternehmen mit dem Thema Prozessmanagement und Prozessdigitalisierung umgehen sollen, was würden Sie raten?
Dr. Peter Heinrich:
Zu beiden Themen: Fokus auf relevante Probleme und klare Ziele! Zum Prozessmanagement hatte ich bereits einiges gesagt. Fokussieren wir uns daher nochmal kurz auf Digitalisierung: Mein «Tipp» wäre zuerst solide Grundlagen zu schaffen mit dem, was man bereits hat. Das Motto heisst aufräumen und in Ordnung bringen: Informationsbestände aufräumen, Redundanzen (im Sinne von Doppelerfassung) abbauen, Systeme vernetzen und für IT-Sicherheit (im Sinne von Safety und Security) sorgen. Das können auch knifflige Themen wie digitale Unterschriften, Aufbewahrungs- und Löschfristen oder die stets angemessene Verwaltung von Zugriffsrechten sein. Davor braucht man eigentlich über «Digitalisierung» gar nicht erst sprechen. Bestenfalls könnten hier lückenhafte Showcases entstehen. Und es muss auch wirklich nicht alles digitalisiert werden. Papier hat besondere Eigenschaften und Vorteile, die wir kaum mit Technologie abbilden können. «Papierlos» ist daher genauso kein generisches Ziel wie «Digitalisierung». Empfehlenswert ist bei all diesen Überlegungen generell die Unterstützung durch geeignete Wissensträger. Wirtschaftsinformatiker zum Beispiel sind dafür prädestiniert, da sie in ihrer Ausbildung lernen mit Hilfe von Technologie Lösungen zu relevanten Problemen zu finden. Damit steht das Verständnis des Problems und die Gestaltung einer adäquaten Lösung im Vordergrund und nicht die Technologie an und für sich. Und das Wichtigste zum Schluss: Mit jeder technischen Anschaffung geht man auch eine «Schuld» ein. Man hat das dann und muss es jahrelang warten, pflegen, integrieren und ggf. auch durch ein Folgesystem ablösen. Teil dieser Schuld sind auch schnell mal Abhängigkeiten zu einer Vielzahl von Herstellern parallel. Themen wie die digitale Souveränität sollten daher für alle Unternehmen ein wichtiger Punkt sein, werden aber nur allzu gerne unter den Tisch fallen gelassen.
Fazit: Ich kann allen nur raten endlich mit dem «Digitalisieren» aufzuhören und zu beginnen die IT-Infrastrukturen auf einen vernünftigen Stand zu bringen, Prozesse zu überdenken und gewinnbringend zu unterstützen. Das heisst dabei vor allem zielorientiert, wenig komplex und mit minimalen Abhängigkeiten die relevanten Probleme effizient und effektiv zu lösen.
Zu Gast in dieser Episode:
Dr. Peter Heinrich
Leiter Fachstelle Prozessmanagement und Informationssicherheit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Das könnte Sie auch interessieren...
Relevanz von Change-Management im Rahmen der Digitalisierung
Dieser Blog-Artikel handelt von der Relevanz von Change-Management im Kontext von Digitalisierungsprojekten. Er zeigt zudem eine Methode zur Umsetzung eines betrieblichen Change-Management-Ansatzes auf.
BPMN – Grundlage zur Prozessdigitalisierung
Viel verwendet und mittlerweile zum Standard geworden: Was aber ist BPMN genau? Im nachfolgenden Artikel erläutern wir Ihnen kurz und knapp die wichtigsten Fakten.
Optimierte Compliance dank Digitalisierung
Die Compliance-Thematik wurde in den letzten Jahren immer wichtiger. Eine gute Compliance führt aber nicht nur zu einem guten Image, sondern kann auch effektive Wettbewerbsvorteile erzeugen. Wir erläutern Ihnen, wie sinnvolle Digitalisierung Sie hierbei unterstützt.